Zeitungsartikel von Stefan Sander :

" Lancaster voller Bomben schlug in den Wald von Schönau "

80-jähriger Pilot in Westausstralien ausfindig gemacht

Es ist die Nacht vom 20. zum 21.3.1945 . Um 23.39 Uhr starten in Southwell 15 englische Bomber mit dem Ziel Böhlen, im Herzen Deutschlands. Dort sollten die Hydrierwerke bombardiert werden um den Krieg schnellstmöglich zu Ende zu bringen. Man wollte der deutschen Kriegsmaschinerie das dringend benötigte Benzin und Öl entziehen.
In der Nähe von Kassel werden die Bomber von deutschen Nachtjägern mit ihren Me 110 angegriffen. Dabei wird um 3.04 Uhr eine B-24 Liberator abgeschossen und stürzt in der Nähe von Wolfhagen ab. Von den 10 Besatzungsmitgliedern sterben 9. Etwa zwei Minuten vorher wird eine Lancaster, mit der Kennung PD 425, von Hauptmann Hager mit seiner Me 110 beschossen und stürzt tödlich getroffen ab. Hauptmann Hager behauptet in dieser Nacht drei Flugzeuge abgeschossen zu haben, es konnten aber nur zwei nachgewiesen werden.
Im Raum Eschwege wird die Lancaster (PA 259) der 227. Schwadron mit dem Piloten Ray King in 15000 Fuß (5000m) beschossen. Der Pilot versuchte die Maschine noch zu halten aber es gelang ihm nicht, so daß er der Besatzung den Befehl zum Abspringen gab. Die Maschine schlug um 3.15 Uhr zwischen Schönau und Steinheuterode mit voller Bombenladung im Wald auf und schlug einen Krater in dem man zwei Häuser versenken konnte.
Vier der Acht Besatzungsmitglieder konnten sich mit dem Fallschirm retten, die anderen kamen ums Leben und wurden auf dem Friedhof in Uder beerdigt .Später wurden sie exhumiert und auf zentrale Friedhöfe überführt ,zwei davon nach Berlin.

Ich bekam im Dezember 2001 die Adresse von dem noch heute lebenden Piloten Ray King. Er wohnt in Booragoon in Westaustralien und ist am 22.2.2002 80 Jahre geworden.
Was er damals erlebte und wie es ihm erging schreibt er in diesem Bericht :

Gekürzte Übersetzung des Berichts von Lt .R. D. King, RAAF Pilot der 227. Schwadron der RAF :
RAF Flugplatz Balderton, 20. März 1945.
Nachdem wir in elf Tagen sieben Einsätze geflogen waren, (drei davon in aufeinanderfolgenden Nächten) würde dies der letzte Einsatz vor einer verdienten Ruhepause sein. Natürlich wurden Pläne geschmiedet, was man in dieser Zeit alles unternehmen könnte. Bill Neilsen, unser Navigator, war dafür, daß wir uns als erstes in seiner Lieblingskneipe " The Saracens Head " in dem kleinen Dorf Southwell, in der Nähe des Flugplatzes, einige Ale (Biere) gönnen sollten. Ich schloß mich seiner Meinung an.
Aber es kam anders als wir gedacht hatten.
Ein englischer Pilot hatte Urlaub, weil er in der nächsten Woche heiraten wollte, da mußte ich mit meiner Besatzung für ihn einspringen.
Beim Briefing (Einsatzbesprechung) erfuhren wir, daß unser Ziel die Stadt Böhlen bei Leipzig war. Dorthin hatten wir schon am 5. März einen Einsatz geflogen, wahrscheinlich sollten wir die Sache dort zu Ende führen. Der Einsatz hatte 9 Stunden und 25 Minuten gedauert. Eine lange Zeit.
Dann kam noch eine neue Entscheidung. Eine neue Crew in unserer Schwadron sollte bei diesem Einsatz auf verschiedene Maschinen aufgeteilt werden, um ihren ersten Einsatz zu erleben. So blieben einige meiner eigenen Besatzung zu Hause.
Dann noch eine Überraschung. Zwölf Bomber aus verschiedenen Einheiten wurden zusammengezogen und bildeten eine Einheit die einen Angriff auf Halle vortäuschen sollten. Erst kurz vor Halle sollten wir dann auf Böhlen abbiegen. Die Vorstellung war, daß die deutschen Nachtjäger annehmen sollten, daß dies der Hauptangriff sein würde. Nachdem die Nachtjäger uns dann angegriffen hätten und wieder zum Tanken landen mussten, würde unser Hauptbomberstrom ungestört auf Böhlen fliegen können.

Start war um 23.39 Uhr. Das Wetter war einigermaßen. Um vom deutschen Radar nicht erfasst zu werden, flogen wir über der Nordsee nur 50 Fuß (ca. 18m)hoch. Kurz vor der feindlichen Küste feuerten die 2 cm Kanonen von einem Flakschiff auf uns, aber ohne zu treffen. Nach dem Überfliegen der Küste stiegen wir auf unsere vorgeschriebene Einsatzhöhe.

Drei Stunden waren wir etwa geflogen, als plötzlich unser Heckschütze, L.Baxter (ein Kanadier) über die Bordverständigung rief, daß ein deutscher Nachtjäger von hinten angreifen würde. Ich drückte die Lancaster in eine Steilkurve nach unten, dann schlug auch schon eine Geschossgarbe in unser Cockpit ein. Alles war voller Rauch. Beim Abfangen der Maschine stellte ich fest, daß sie sich kaum noch steuern ließ. Ein kurzer Blick nach außen, die beiden Steuerbordmotoren (in der rechten Tragfläche) brannten. Daraufhin rief ich dem Bordingenieur zu die Feuerlöscher (die unter der Motorenverkleidung angebracht waren) auszulösen, aber da brannte auch schon die Tragfläche zwischen den Motoren. (Benzintanks)
Das Flugzeug senkte die Nase und ging nach unten. Mein erster Gedanke war :"Das wars"! Über den Bordfunk gab ich den Befehl zum Aussteigen. Zweimal rief ich "Anandon Aircraft ! Jump ! Jump !" ("Flugzeug verlassen ! Springen ! Springen !") Ich wusste, daß ich erst als letzter springen durfte.

Nachdem ich meine Sitzgurte gelöst hatte versuchte ich das Flugzeug wieder aufzurichten, aber vergebens, es reagierte nicht mehr auf meine Anstrengungen. Plötzlich kam die Nase von selbst hoch und die Maschine machte eine halbe Rolle um die Längsachse, so daß ich an die Decke des Cockpits fiel.
Das nächste an was ich mich erinnern kann war das Rauschen eines kalten Windes, sofort zog ich die Leine zum Öffnen des Fallschirms.

Als uns der Nachtjäger angriff waren wir 15000 Fuß (ca. 5000 Meter) hoch. Aber inzwischen hatten wir viel an Höhe verloren. Ich hatte keine Wahrnehmung, daß ich am Schirm geschwebt hätte. Es gab ein undefinierbares "thump" und ich hing in einem Baum. Vermutlich hatte sich der Schirm erst kurz zuvor geöffnet. Über mir sah ich meinen Fliegerhelm in einem Ast hängen. Alles kam mir so unwirklich vor, wie im Traum. Nicht weit von mir war unsere Lancaster aufgeschlagen und der Feuerschein erhellte weithin die Nacht. Dadurch konnte ich an der Innenseite des Fliegerhelms meinen Namen lesen. Da wusste ich, du lebst noch.

Ein Blick nach unten zeigte mir, daß ich etwa 10 Fuß hoch über dem Waldboden hing. Der Feuerschein war hell genug damit ich mich aus den Gurten lösen konnte um mich herunter fallen zu lassen. Ich fragte mich was wohl mit dem Rest meiner Besatzung geschehen sei und überlegte was nun zu tun sei.
Abgesehen von einem verstauchten Halsgenick und einer tiefen Fleischwunde in meiner rechten Hand, sowie einigen Prellungen und Kratzern schien mir nichts passiert zu sein.

Nachdem das Feuer niedergebrannt war herrschte totale Finsternis. Dann hörte ich in der Nähe das Geräusch eines Eisenbahnzuges und sah die Glut von der Lokomotive. Später ging ich vorsichtig in Richtung der Bahngleise, über eine umgepflügte Wiese. Mit den Händen vergrub ich meine Schwimmweste. Dann kam eine tiefe Schlucht und danach die Schienen. Weiter ging ich in die Richtung wo ich Westen vermutete und kurz darauf kam ich an einen kleinen Fluß. So wie man es immer im Kino sieht, ging ich ein Stück flußabwärts, bevor ich an Land ging. Damit wollte ich vermeiden, daß Suchhunde meiner Spur folgen konnten.

Das Feuer von den Flugzeugtrümmern war nun ausgebrannt und die Nacht war pechschwarz. Ich ging zurück in den Wald, verkroch mich in einer dichten Hecke und versuchte etwas zu schlafen. Als dann der Morgen dämmerte sah ich mich in der Umgebung um. Die Bahnlinie verlief etwa Richtung Ost-West durch eine Viehweide und der kleine Fluß verlief etwa in Richtung Nord-Süd.
Den Tag über wollte ich mich hier versteckt halten und mich dann in der Dunkelheit auf den Weg nach Westen in Richtung der amerikanischen Front machen. Aber schon nach einer Stunde hörte ich ein Geräusch hinter einer Buschreihe, ein Mädchen, etwa acht Jahre alt, ging an meinem Versteck vorüber ohne mich zu bemerken.
Etwas später kam eine Gruppe deutscher Soldaten mit Suchhunden über die Viehweide. Sie fanden meine Schwimmweste und folgten weiter meiner Spur bis zum Flußufer. Dort rannten die Hunde einige male hin und her und gaben dann auf. Als sie weg waren öffnete ich mein Überlebenspäckchen und holte auch den Kompass aus seinem Versteck in meinen Fliegerstiefeln. Ich stellte erst einmal die Himmelsrichtungen fest, damit ich wusste wo Westen war.

Am späten Nachmittag kamen zwei Männer mit einem von Pferden gezogenem Ackerwagen über einen Hügel auf mich zu. Als sie nahe heran waren entdeckten sie mich. Das war's dann, dachte ich. Aber einer von ihnen zeigte mit dem Finger auf sich und sagte " me Ruski ". Erfreut zeigte ich ihnen die englische Flagge auf meinem Überlebenspäckchen. Das enthielt auch ein Mini-Wörterbuch mit den wichtigsten Sätzen in verschiedenen Sprachen. Auf russisch sagte ich zu ihnen " Ich bin ein englischer Flieger, bitte helfen Sie mir und benachrichtigen Sie die britische Militärmission in Moskau."
Daraufhin drückte er meine Hand und sagte "Kamerad, Kamerad".

Mit Hilfe des Miniwörterbuches und mit Gebärdensprache unterhielten wir uns eine Weile. Ich erfuhr, daß sie dienstverpflichtete Arbeiter seien. Einer war Russe, der andere Pole. Sie wollten mir so gut es ging helfen, aber es waren zu viele deutsche Soldaten in dieser Gegend. Trotzdem wollten sie mich zum Bauernhof wo sie arbeiteten mitnehmen.
Dort angekommen wunderte ich mich über den fast freundlichen Empfang. Einige Leute kamen herbei, auch zwei Hofhunde begrüßten mich. Ein älterer Mann, vermutlich das Familienoberhaupt, deutete auf einen Sessel. Ich nahm Platz, man wusch meine blutige Hand ab und verband sie. Dieser Mann sprach etwas englisch und ich erklärte ihm, daß ich Australier sei. Unter den Neugierigen war auch ein Mann in deutscher Uniform, mit einem sehr vernarbten Gesicht. Er schaute mich interessiert an, zeigte aber keine Gemütsregung. Von der Hausfrau erhielt ich eine Tasse Ersatzkaffee, er schmeckte einigermaßen. Schließlich gab der ältere Mann das Zeichen zum Aufbruch. Mit dem Pferdewagen fuhren wir einen Feldweg entlang, der zu einem kleinen Dorf führte.
Dort angekommen schien es als ob alle Hunde zusammengekommen waren. Mit lautem Gebell und von vielen Kindern begleitet folgten sie uns die Dorfstraße entlang. Auch viele deutsche Soldaten waren da, zwei von ihnen begleiteten die Parade und eskortierten mich in das Dorfgefängnis.

Von dort wurde ich von Soldaten mit einem kleinen VW-Auto abgeholt. Einer stellte mir einige Fragen, er sprach englisch mit einem (vermutlich) französischem Akzent. Wir kamen in einen größeren Ort, er hieß Eschwege.

Auf der dortigen Polizeistation wurde ich nach einer Durchsuchung in eine Zelle gesperrt. Dort traf ich dann Curly Long, meinen Funker, und Bill Rootes, meinen Bombenschützen, gesund wieder. Ich hatte vermutet, daß ich der einzige Überlebende sei.

Zwei Posten brachten mich dann zu Fuß zu einem kleinen Luftwaffenhospital, dort wurde die Wunde an meiner Hand behandelt und mit einer Metallklammer verschlossen.
Per Bahn ging es weiter. In Kassel hielten wir an einem Bahnhof, außer dem Bahnsteig war dort nichts mehr ganz. So weit ich sehen konnte waren alle Gebäude zerstört. Unser Ziel war das Befragungszentrum Dulag Luft bei Frankfurt.
Auf dem Weg von der Bahn zum Lager wurden wir von einer Gruppe Zivilisten angehalten. Einer von ihnen zog eine Pistole, schrie unsere Bewacher an und deutete mit seiner Pistole auf uns. Der Oberfeldwebel von unseren Begleitern richtet seinen Karabiner auf ihn und schrie zurück. Daraufhin kamen wir weiter.


So erlebte damals der Pilot Ray King aus Westaustralien den Abschuss der Lancaster und seiner Besatzung.
In einem seiner Briefe schreibt er :"Ich erinnere mich daran, daß mein Fliegerhelm in einem Baum hing und daß ich meine Schwimmweste in einem Acker vergraben hatte, liegen die jetzt vielleicht in einem Museum ?Während der vergangenen 56 Jahre, immer wenn ich mit vielen anderen Kriegsgefangenen zu unseren Treffen kam, erinnerte ich mich immer wieder an die Freundlichkeit des Bauern, sowie seiner Frau und anderen Leuten, welche meine Verwundung versorgten, die ich mir beim Absturz zugezogen hatte."

Im nachhinein stellte sich heraus, daß der Ort, wo ihn die Zwangsarbeiter hin brachten das Gut Hesserode war und der Mann der etwas englisch sprach der Gutsbesitzer Edgar Haverbeck . Ein Mann aus Steinheuteerode, der damals seinen Fliegerhelm fand, benutzte ihn viele Jahre als Motorradhelm und besitzt ihn noch heute.

Die Besatzung der Lancaster PA 259 der 227 Schwadron bestand aus : Pilot Raimund D. King
Co-Pilot H.Pitts U
Navigator Bill Neilson
Funker "Curly" Long
MG-Schützen Lou Marshall U
Heck-Schützen Len Baxter U
Flug-Ing. R. Feytton U
Bomberschütze Bill Roots


Heute, 57 Jahre später, nachdem die Geschichte aufgearbeitet ist,stellt sich wieder einmal die Frage : "Wofür das alles ?"
Obwohl, wie es scheint, die meisten Fragen aufgeklärt sind ,wirft jede geklärte Frage eine Neue auf ?

Wenn sie helfen können und möchten, noch offene Fragen zu den Luftkriegsereignissen im Landkreis Eichsfeld aufzuklären, wäre ich Ihnen sehr dankbar. ( 036075/64734


Stefan Sander

Ray King im Januar 1946